Der Strumpfwirkerstuhl

Ein Unikat

Strumpfwirkerstuhl in der Brunnenhalle

1686 erlebte Erlangen einen entscheidenden Einschnitt: Reformierte Glaubensflüchtlinge aus Frankreich siedelten sich an der Regnitz an, für die neben der bereits bestehenden spätmittelalterlichen Siedlung eine neue Stadt gebaut wurde, nach dem Gründer „Christian Erlang“ genannt. Es war ein Akt gezielter Wirtschaftsförderung, der frische Steuergelder in die stets leeren Kassen des Markgrafen spülen sollte. Im Gepäck hatten die Neuankömmlinge eine Erfindung, die für über hundert Jahre den Ton im hiesigen Wirtschaftsleben angab: den Strumpfwirkerstuhl.

Der Strumpfwirkerstuhl galt den Zeitgenossen als Meisterstück menschlicher Erfindungskunst und wurde später in seiner Bedeutung gar mit der Dampfmaschine verglichen. Seine Einführung in Franken durch die Hugenotten stellte einen grundlegenden Durchbruch gegenüber dem Stricken, der Herstellung per Hand, dar. Er war in der Tat ein außerordentlich komplexes Gerät: bis zu 3 500 Einzelteile steckten in ihm.

In der Blütezeit des Gewerbes waren in Erlangen an die 3 000 Menschen mit der Herstellung von Strümpfen beschäftigt (bei ca. 9 000 Einwohnern). Das Klappern der über 500 Stühle markierte den Lebensrhythmus der Stadt, in der in jedem zweiten bis dritten Haus ein Strumpferbetrieb angesiedelt war. Zahlreiche Zuarbeiter, oft Frauen, waren in Heimarbeit beschäftigt: Sie kämmten die Wolle, sponnen das Garn, nähten Strumpfteile zusammen und verzierten sie mit dekorativen Mustern. Die Einkommensverhältnisse im Strumpfer-Gewerbe waren sehr unterschiedlich. Während sogenannte Fabrikanten ein stattliches Vermögen anhäuften, nagte mancher Zuarbeiter und Kleinmeister am Hungertuch. Atemwegserkrankungen durch den Wollstaub, als Strumpferkatarrh berüchtigt, waren stete Begleiter des Arbeitslebens.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann der Niedergang der Strumpfproduktion in Erlangen. Eine politisch bedingte Absatzkrise, aber auch eine zu konservative Organisation des Gewerbes und mangelnder Anschluss an die technische Entwicklung verwandelten die Stadt in ein Armenhaus. Erst nach langen Jahren begann der Aufstieg zur Industriestadt.

Hartmut Heisig

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