Braunes Spielzeug
NS-Propaganda im Kleinformat
Spielzeug besitzt eine besondere Anziehungskraft – nicht nur für Kinder, und nicht nur zu Weihnachten. Denn Spielzeug zeigt „die Welt im Kleinen“. Es bildet unseren Alltag ab, greift Trends auf und ist damit häufig Spiegel seiner Entstehungszeit.
Dies gilt in besonderer Weise für eine Reihe von Spielzeugfiguren aus der Zeit des Nationalsozialismus, die ihren Weg in die Sammlung des Stadtmuseums gefunden haben. Dargestellt sind marschierende SA-Leute im Braunhemd, Mitglieder eines Spielmannszuges mit Trommlern, Trompetern und Fahnenträgern, „Jungvolkpimpfe“, SS-Mitglieder und Wehrmachtssoldaten. Hersteller der fingerlangen Figuren war die Firma O. & M. Hausser aus Ludwigsburg (ab 1936/37 in Neustadt bei Coburg), die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in diesem Bereich führend war. Erfolgsrezept war ein eigens entwickeltes Material, eine Masse aus Sägemehl, Kaolin (Tonerde) und Kasein-Leim, die Hausser auf den Markennamen Elastolin taufte. Elastolin war relativ robust und – gerade in Kriegs- und Krisenzeiten – leichter verfügbar und günstiger als Zinn. Die Masse wurde in Form gepresst und anschließend handbemalt.
Die Firma war stets am Puls der Zeit. Im Kaiserreich und während des Ersten Weltkriegs, als Kriegsspielzeug zum Zwecke der „militaristischen Früherziehung“ gefragt war, produzierte Hausser Soldaten, mit denen sich Schlachten nachspielen ließen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten hielten dann die braunen Figürchen Einzug in das Sortiment. Hausser bot nicht nur einfache Parteigenossen an, sondern, wie auf der Abbildung zu sehen, auch Mitglieder der obersten Führungsriege: Am hölzernen Rednerpult steht Adolf Hitler (mit auffallend blauen Augen), neben ihm Hermann Göring (mit zahlreichen Orden), Joseph Goebbels, Rudolf Heß sowie Ernst Röhm (mit SA-Schaftmütze). Als besondere Funktion haben diese Figuren einen beweglichen rechten Arm, der sich zum „Deutschen Gruß“ erheben lässt. Die Röhm-Figur gibt einen Hinweis auf die Datierung der Gruppe, denn der SA-Führer fiel bei Hitler schon bald nach der Machtübernahme in Ungnade und wurde am 1. Juli 1934 ermordet. Im Hausser-Katalog von 1935 nahm „Reichsjugendführer“ Baldur von Schirach seinen Platz ein.
Die rund 100 Figuren, die sich in der Sammlung des Stadtmuseums befinden, reichten aus, um im heimischen Kinderzimmer eine veritable Parteiveranstaltung nachzustellen. Als Vorbild in der „großen Welt“ boten sich die Reichsparteitage in Nürnberg an, die auch in das benachbarte Erlangen, die „Universitätsstadt der Reichsparteitage“, ausstrahlten. Auf spielerische Weise wurden so schon die jüngsten Kinder mit den Insignien und Ritualen des Regimes vertraut gemacht und im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie einer führerzentrierten „Volksgemeinschaft“ indoktriniert.
Im März 1983 schenkte die Vorbesitzerin aus Erlangen das Figuren-Konvolut dem Stadtmuseum. Dort wurde damals, 50 Jahre nach der „Machtergreifung“, die erste große Sonderausstellung zur NS-Zeit in Erlangen vorbereitet. Heute sind die Figuren Teil der Dauerausstellung zum Nationalsozialismus. Lediglich die hölzerne Rednertribüne steht im Nebenraum, wo sie anschaulich die Versuche einer „Entnazifizierung“ nach 1945 illustriert: Das Hakenkreuz an der Rückwand wurde grob herausgekratzt. Die Spuren der Diktatur blieben auch in der „kleinen Welt“ des Spielzeugs sichtbar.
Andreas Thum